Schwiegereltern - Die neue Hackordnung

Es muss zwischen Schwiegereltern und -kindern nicht krachen. Aber das erfordert die Bereitschaft, neue Rollen zu akzeptieren und Fremdheit als Bereicherung zu entdecken.

Jede Hochzeit (und Gründung ähnlicher Lebensgemeinschaften) stellt die beteiligten Familien vor eine Herausforderung: Zwei Systeme mit je eigener Hackordnung machen sich daran, ein größeres neues System mit einer neuen gemeinsamen Hackordnung zu bilden. Eine solche Systemerweiterung vollzieht sich in einem dynamischen Prozess, in dem Prägungen, Interessen, Erwartungen, Hoffnungen, Befürchtungen, Machtstreben sowie mannigfache Gefühle aufeinanderstoßen und ihr Gleichgewicht finden müssen. In diesem spannungsreichen Prozess treten immer wieder typische Schwiegerkonflikte auf  –  zwischen  Schwiegermutter und Schwiegertochter, Schwiegervater und Schwiegersohn, aber auch zwischen Schwester und Schwägerin oder zwischen Bruder und Schwager.

  • Oft sind solche chronischen Beziehungsprobleme zwischen Schwiegerkindern und Schwiegereltern ein Indiz dafür, dass die Beziehung der jungen Eheleute zu den eigenen Eltern noch infantile Züge trägt:

Schwiegermutter und Schwiegertochter kämpfen um den gleichen Mann. Einen idealen Nährboden findet dieser Konflikt, wenn der junge Ehemann auch nach der Heirat seiner Mutter emotionale Priorität gibt. Zum Beispiel indem er sich vor wichtigen Entscheidungen zuerst oder zuletzt mit seiner Mutter berät oder wenn sie sich bei der Entscheidung, wo die Familie Weihnachten feiert, immer wieder durchsetzt. Oder wenn er bei Auseinandersetzungen zwischen Ehefrau und Mutter grundsätzlich keine Stellung bezieht. Sol-che Söhne bleiben zu lange Kind und ermöglichen so übergriffigen Müttern, die sich zwischen Sohn und Schwiegertochter platzieren wollen, die emotionale  „Hofbetretung“. Die jung  Ehefrau spürt das sehr deutlich; in der Folge werden die beiden Frauen gleichsam zu Kindern, die an demselben „Teddy“ zerren. Warum? Weil ihr gemeinsamer Mann eben gerade noch kein Mann geworden ist, sondern gewissermaßen seine Kindheit verlängert.

Die junge Frau verklärt ihren eigenen Vater und misst ihren realen Mann an einem virtuellen Idealbild seines Schwiegervaters, des ersten Mannes in ihrem Leben. Dagegen hat er keine Chance; den Vergleich mit einem Ideal verliert jeder, immer, garantiert. Der Grund? Möglicherweise will die junge Frau emotional ein kleines Mädchen bleiben. Ihr „Papi“ sah und hätschelte sie viele Jahre als seine „kleine Prinzessin“. Das tat ihr gut, das liebte sie; diesen Blick braucht sie, um glücklich zu sein. Deshalb erwartet sie jetzt von ihrem Mann, dass er sie ebenso verklärt anblickt – doch der wollte kein Kind heiraten, sondern eine erwachsene Frau, und mit ihr eine Partnerschaft als Rahmen für das Heranwachsen neuer Kinder bilden. Gut möglich, dass er auf ihre Erwartungen zunehmend mit Vorwürfen gegen ihren Vater reagiert – ein verzweifelter Therapieversuch zur Nachreifung seiner Frau.

In diesen Fällen haben die jungen Eheleute noch nicht wirklich „Vater und Mutter verlassen“ (Gen 2,24), um nun selbst miteinander eine Einheit zu bilden. Dahinter können sich wiederum mannigfache Ursachen verbergen: die Angst, Verantwortung zu übernehmen, Bequemlichkeit, mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit, über die alten und neuen Beziehungen nachzudenken, Entwicklungsverweigerung …

  • Andere typische Konfliktursachen:

Ein Ehepartner erhebt einen Alleinanspruch auf den anderen. In diesem Fall missachten nicht die Schwiegereltern das Recht der neuen Partner aufeinander, sondern ein Partner missachtet das bleibende Recht des anderen auf eine Beziehung zur jeweiligen Herkunftsfamilie. Diese Beziehung wird durch die Eheschließung nicht abgebrochen, wohl aber muss sie verändert und weiterentwickelt werden. Die Missachtung des Partnerrechtes auf Elternliebe ist übergriffig und führt zu empfindlichen Beziehungsstörungen, genauso wie die Weigerung der Eltern, der neuen Partnerschaft ihrer Kinder von nun an Priorität zu lassen.

Die jeweiligen Prägungen durch die Herkunftsfamilie lassen sich schwer vereinbaren. Weltanschauung, Milieu, Kultur, Religion, Umgang mit Geld, Umgang mit Krankheit – in diesen und vielen anderen Feldern unter- scheiden sich die Traditionen von Familien vielfältig; mit- unter prallen bei Hochzeiten gegensätzliche Welten auf- einander. Wer als Kind immer Ferien an der See gemacht hat, kann die Begeisterung seiner Partnerin für die Berge vermutlich nicht auf Anhieb nachvollziehen – um nur ein verbreitetes, noch sehr harmloses Beispiel zu nennen.

Die Eltern können das Erwachsenwerden ihrer Kinder nicht anerkennen. Sie lassen sie nicht wirklich los, geben sie nicht wirklich frei – und beschädigen damit das Fundament für eine neue tragfähige Partnerschaft. Dahinter können vielfältige Ursachen stecken: Vielleicht haben die Eltern Angst vor dem Älterwerden, oder sie fürchten das „Leere-Nest-Syndrom“, weil das offenbar machen könnte, dass sie ihre eigene Partnerschaft lange schon aus dem Blick verloren haben. Oder es lebt nur noch ein Elternteil; dann müssen die eigenen Kinder oft „Kinder“ bleiben, damit den Eltern die Verlusterfahrung oder die eigene innere Leere nicht so schmerzlich bewusst wird.

Der reale Partner des eigenen Kindes entspricht nicht dem idealen Wunschbild der Eltern. Gut, wenn Eltern bei allem, was sie ihren Kindern Gutes wünschen, gelassen und sich bewusst bleiben: Es ist nicht unser Leben, es ist das Leben unserer Kinder. Sie sind nicht unsere Klone, sondern blicken nach vorne und entfalten ihr eigenes Leben.

Die Andersartigkeit der Schwiegertochter / des Schwiegersohnes stellt die Eltern selbst in Frage. Damit steht ihr Selbstwertgefühl auf dem Prüfstand. Wird ihre Art zu leben dem Blick eines ganz anders erzogenen und geprägten Menschen standhalten? Sind sie grundsätzlich lernfähig und bereit, sich weiterzuentwickeln? Die eigene Weltsicht ist ja nicht allein dadurch „wahr“, dass sie die eigene ist; sie muss sich vielmehr bewähren. Gut deshalb, wenn Schwiegereltern das Neue, das durch die „Neue“ oder den „Neuen“ in die Familie kommt, nicht nur als Anfrage, sondern zugleich auch als Bereicherung ansehen. Das neue Großsystem würde in diesem Fall komplementäre Ergänzungen hervorbringen.

  • Die Liste möglicher Gründe für Schwiegerkonflikte ließe sich fortsetzen. Und, ganz klar: Im konkreten Fall gilt es selbstredend, die individuellen Auslöser sorgfältig zu analysieren. Doch die typischen Konflikte sind nur die eine Seite der Medaille; auf der anderen Seite eröffnen Schwieger-Beziehungen sehr grundlegende Chancen. Alle Akteure begeben sich ja miteinander auf einen neuen, von nun an hoffentlich gemeinsamen Weg. Bei diesem Projekt der Entwicklung eines neuen, größeren Familiensystems kommt es besonders auf die Bereitschaft der Beteiligten an, die damit verbundenen Veränderungen anzunehmen. Gut also, wenn

❚❚ die Mutter eines Sohnes, der als Schwiegermutter

eine neue Rolle zufällt, einsieht, dass die eigene Bedeutung als Mutter und als erste Frau im Leben ihres Sohnes passé ist. Und wenn sie die Notwendigkeit dieses – vielleicht schmerzlichen – Verlusts anerkennen und ihren Sohn ziehen lassen kann, ohne sich in ein emotionales Schneckenhaus zurückzuziehen.

❚❚ die Schwiegertochter ihrerseits akzeptieren kann,

dass sie nicht die erste Frau im Leben ihres Mannes war. Je nach der Qualität seiner Mutter-Sohn-Beziehung sind daraus Prägungen entstanden, die mehr oder weniger nachhaltig wirken. Seine Mutter hat sein Frauenbild geprägt, ein Bild, an dem er nun seine Frau – mehr unbewusst als bewusst – messen wird.

❚❚ der Schwiegersohn akzeptieren kann, dass es ein

anderer Mann war, der das Männerbild seiner Frau geprägt hat, an dem sie ihn nun – mehr unbewusst als bewusst – messen wird.

❚❚ der Vater einer Tochter als Schwiegervater in gewissem Sinne „ertragen“ kann, dass für sein „kleines Mädchen“ nun ein anderer Mann die Nummer eins ist und er selbst als Ansprechpartner in die zweite Reihe rückt.

❚❚ die Schwiegereltern die neue Situation nicht nur als Verlust, sondern vor allem als Bereicherung wahrnehmen können. Zwar beendet die neue Familie eine Lebensphase, zugleich aber eröffnet sie auch etwas Neues; die Familie wird zur Großfamilie. Es gilt, die neue Dynamik eines vergrößerten Gesamtsystems anzunehmen.

❚❚ die Schwiegerkinder versuchen, im Umgang mit ihren Schwiegereltern die Brille der eigenen Herkunftsfamilie abzulegen und sie in ihrer Andersartigkeit kennen und lieben oder zumindest akzeptieren zu lernen. Fremdheit kann bedrohen, Fremdheit kann aber auch bereichern.

 

Die Bildung des neuen Großsystems verläuft in einem vielfältigen, spannungsvollen Prozess. Dabei erzeugen die unterschiedlichen Prägungen der Beteiligten möglicherweise Irritationen, die aber nicht notwendig in Konflikte münden; dazu kommt es erst, wenn ein offener oder verdeckter Machtkampf sich der Prägungen bedient und sie instrumentalisiert.

Das Gelingen oder Misslingen dieses Prozesses hat auch elementare Bedeutung für den Auf bau gelingender Beziehungen zur übernächsten Generation. Je umsichtiger (Groß-)Eltern am Aufbau des neuen gemeinsamen Familiensystems mitwirken, desto nachhaltiger bereiten sie ihre künftigen Kontakte und Beziehungen zu ihren Kindeskindern vor. Und die jungen Eltern führen ihren Kindern durch ihr Verhalten bei diesem Prozess nachhaltig vor, wie „man“ mit Eltern oder Schwiegereltern umgeht – und prägen so ein internalisiertes Modell, das eines fernen Tages die Beziehung ihrer erwachsenen Kinder zu ihnen (oder den Schwiegereltern) maßgeblich beeinflussen wird.

Für Kinder sind Großeltern (fast) immer eine Bereicherung. So lernen sie verschiedene Generationen, Weltansichten, Tagesabläufe, Erziehungsstile und vieles andere kennen. Das umso mehr, wenn die Eltern darauf verzichten, den Großeltern eine kleinliche (und unwürdige) „Gebrauchsanweisung“ für die Kinder vorzuschreiben und die Großeltern nicht versuchen, ihren (Schwieger-)Kindern in die Erziehung der Enkel hineinzuregieren. Eltern erziehen auf ihre Weise, Großeltern auch – gerade das macht den Reichtum aus.


Felicitas Lehnert praktiziert als Ehe-, Familien- und Lebensberaterin und ist Heilpraktikerin für Psychotherapie mit eigener Praxis in Rommerskirchen.

Dr. Volker Lehnert ist Theologe. Er arbeitet als Dezernent für Personalentwicklung in der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Sie haben drei erwachsene Kinder und ein Enkelkind.